Barrierefreiheit in der IT: Teilhabe als Erfolgsprinzip
Ab Mitte 2025 gilt: Websites und Apps müssen gesetzlich festgelegte Standards zur Barrierefreiheit erfüllen, sonst drohen Bußgelder bis hin zum Verbot. Ziel ist die aktive Beseitigung digitaler Barrieren. Geregelt ist das im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Was es damit auf sich hat und welche Chancen sich für Dich ergeben, als gefragte Accessibility-Expert:in in Bereichen wie UI- und UX-Design oder Web- und App-Entwicklung die digitale Welt von morgen zu gestalten, liest Du hier:
Worum geht es bei Barrierefreiheit?
Eine inklusive Gesellschaft, in der alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können – nicht weniger ist das Ziel, dem sich die EU im European Accessibility Act (EAA) und auch die Bundesregierung verpflichtet haben. Damit alle, also auch bspw. ältere Menschen oder Personen mit Behinderung gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilnehmen können, braucht es barrierefreie Gestaltung. Das betrifft zum Beispiel Bereiche wie Mobilität, Informationszugang und den digitalen Raum wie im BFSG geregelt. Laut Definition sind Produkte und Dienstleistungen dann barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Einschränkung „in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind“ (Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)).
Ein Absatz und schon lauter Gesetze und Richtlinien – gar nicht so einfach da den Überblick zu behalten. Deshalb hier einmal die wichtigsten Gesetze, Normen und Richtlinien, die Du kennen solltest, bevor wir uns konkretere Beispiele anschauen:
- European Accessibility Act (EAA)
Er regelt auf EU-Ebene, dass die Mitgliedsländer Gesetze oder Verordnungen zur Barrierefreiheit erlassen. Damit soll natürlich in erster Linie die Welt zugänglicher für alle Menschen werden. Es geht aber auch darum, Einheitlichkeit in der Gesetzgebung der einzelnen EU-Staaten zu schaffen. Was alles darunter fällt, ist ziemlich genau geregelt, nämlich in der - Norm EN 301 549.
Ihr ausführlicher Titel – „Accessibility requirements for ICT products and services“ – ist dabei Programm: Hier ist genau aufgeführt, wann ein Produkt oder Service in der EU als barrierefrei gilt. Dabei bezieht sie sich auf die - „Web Content Accessibility Guidelines“ (WCAG).
Das sind klar definierte Kriterien, mit denen Du ermitteln kannst, ob deine Website oder App auch für Menschen nutzbar sind, die sensorisch oder motorisch eingeschränkt sind. Diese Kriterien sind in drei Stufen eingeteilt Die erste Stufe A umfasst die grundlegenden Basics, ohne die eine Website für Menschen mit Behinderung schlicht unbrauchbar ist, z. B. Bilder mit Alternativtext zu versehen, um sie für sehbehinderte Menschen zugänglich zu machen oder Videos zu untertiteln. Der Goldstandard ist die Stufe AAA: Sie erlaubt in dieser Einteilung das höchste Maß an Zugänglichkeit. Um sie umzusetzen, musst Du aber auch wirklich vieles beachten: Dann reichen z. B. keine einfachen Untertitel für deine Videos mehr, sondern Du solltest auch an eine Übersetzung in Gebärdensprache für Menschen mit Höreinschränkungen denken. Die Norm EN 301 549 orientiert sich genau dazwischen, nämlich an der Stufe AA: Mit mittelgroßem Aufwand soll Zugänglichkeit für die große Mehrheit der Menschen mit Behinderung erreicht werden. - Barrierefreiheitsstärkungsgesetz:
Davon hast Du schon gehört – spätestens in der Einleitung zu diesem Artikel. Es bringt den EAA ins deutsche Recht, wurde am 16. Juni 2021 angenommen und wird ab dem 28. Juni 2025 verbindlich.
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So setzt Du digitale Barrierefreiheit um
Genug Gesetze und Verordnungen – wie genau wird denn jetzt die digitale Welt zugänglicher? Die WCAG liefern hier einen guten Ansatz, der sich auf unterschiedlichste Technologien anwenden lässt. Dazu identifizieren sie vier Prinzipien als Grundlage, die Du immer im Hinterkopf haben solltest:
Können Deine User alle Informationen und Bestandteile Deiner Website oder App überhaupt wahrnehmen? Nutzer:innen, die nicht oder schlecht sehen können, erfassen die Inhalte einer Website bspw. per Screenreader. Wichtige Informationen in schicke Grafiken zu verpacken, ist deshalb keine gute Idee.
Funktioniert Deine Website oder App so, wie sie soll – für alle, die sie nutzen? Das stellst Du z. B. sicher, indem Du verschiedene Möglichkeiten zur Eingabe von Befehlen bietest (z. B. Spracheingabe oder Touchscreen statt Tastatur) und Du den Nutzer:innen immer genügend Zeit zur Orientierung einräumst.
Klar, Deine Nutzer:innen müssen Deine Website verstehen. Innovative Konzepte sind toll, aber Denk immer daran, dass das Rad neu zu erfinden für einige Besucher:innen auch herausfordernd sein kann. Deshalb sind Übersichtlichkeit und der Rückgriff auf bekannte Icons wie Fragezeichen, Lupe und Papierkorb hilfreiche Mittel, damit Deine Nutzer*innen sich gut zurechtfinden.
Inhalte müssen stabil und zuverlässig sein. Das heißt, sie sollten unabhängig davon funktionieren, mit welchem Gerät oder Browser, aber auch welchen Hilfstechnologien, z. B. Screenreadern oder Joysticks, Deine User sie nutzen.
Für diese vier Säulen der Barrierefreiheit werden in den WACG stolze 78 Erfolgskriterien beschrieben, also konkrete Designprinzipien, die bei der Gestaltung von digitalen Inhalten beachtet werden sollen. Um wirklich von vorne bis hinten barrierefreie Produkte und Services bereitzustellen, müssen verschiedene Disziplinen ineinandergreifen.
Wie sieht barrierefreie Softwareentwicklung aus?
Als Softwareentwickler:in achtest du z. B. darauf, dass Dein Code für Assistenztechnologien wie Screenreader optimal aufgebaut ist: Dazu gehört, dass du Markups und Landmarks semantisch korrekt auszeichnest, damit die Struktur der Website oder App so logisch und eindeutig ist, dass technologische Hilfsmittel sie möglichst gut interpretieren können. Außerdem müssen die Accessible Rich Internet Applications (ARIA) richtig angewendet werden. Sie liefern zusätzliche Informationen zu Attributen und Eigenschaften im Code einer Website, um interaktive Elemente wie Dropdown Menüs für eingeschränkte User:innen nutzbar zu machen. Wenn Du dann noch daran denkst, alle Bilder und grafischen Elemente mit sinnvollen Labels und Alt-Texten zu versehen, bist du auf einem guten Weg!
Wie setzt Du barrierefreies UI-Design um?
Auch als UI-Designer:in bist du an einer Schlüsselposition, wenn es darum, geht digitale Barrieren abzubauen. Du achtest auf klare Farben und ausreichend große Kontraste zwischen Text und Hintergrund und wählst Schriftarten, die gut lesbar und mit Screenreadern kompatibel sind. Optimalerweise können Nutzer:innen solche Faktoren sogar selbst anpassen, also bspw. die Schriftgröße individuell einstellen oder zwischen verschiedenen Farbschemata wählen. Schaltflächen müssen groß genug sein und klar gekennzeichnet – Signale, die nur auf einen bestimmten Sinn abzielen (z. B. ein Signalton oder eine bestimmte Signalfarbe), solltest Du vermeiden. Hier ist es wichtig, dass Du Deinen persönlichen Bias überwindest und Dein ästhetisches Empfinden auf den Prüfstand stellst: Der hübscheste Font und das geschmackvollste Farbschema können für einige User unüberwindbare Hürden darstellen. Auch beim Erstellen von User Stories hast Du im Blick, dass nicht alle Nutzer:innen die gleichen Voraussetzungen haben. Am besten lässt Du Dein Design explizit auf seinen diskriminierungsfreien Zugang checken. Dafür gibt es verschiedene Anbieter und Checklisten im Netz (z. B. von der Aktion Mensch) oder auch Agenturen, die Usability Testings direkt von Menschen mit einer Behinderung durchführen lassen.
Mehr als ideeller Mehrwert: Barrierefreiheit zahlt sich aus
Das alles zu berücksichtigen oder eine bestehende Website oder App auf diese Standards umzurüsten, bedeutet natürlich zuerst einmal Mehraufwand. Klar ist aber auch: Eine barrierefreie Gestaltung von Apps und Websites bietet Mehrwerte für alle Nutzer:innen – wenn Du ohne Kopfhörer ein Video im Bus anschauen möchtest, freust Du Dich z. B. über ordentliche Untertitel, auch wenn Du eigentlich problemlos hören kannst. Auch der demografische Wandel der Gesellschaft wird den Bedarf nach (digitaler) Barrierefreiheit verstärken. Daraus ergeben sich Wettbewerbsvorteile für Unternehmen, die sich diesen Herausforderungen stellen, Innovationspotenziale nutzen und ihre Produkte und Dienstleistungen so einer größtmöglichen Zahl potenzieller Nutzer:innen zugänglich machen. Im E-Commerce können Unternehmen so ganz praktisch ihren Umsatz steigern, indem sie Apps und Websites barrierefrei für noch mehr Menschen zugänglich machen. Von Designprinzipien, die Klarheit und Einfachheit in den Fokus stellen, profitieren letztlich alle Apps von Banking über Versicherung. Und wer ist nicht dankbar, wenn das Kleingedruckte der neuen Versicherungspolice auch in „einfacher Sprache“, also kurz und klar formuliert statt bürokratisch und verklausuliert nachzulesen ist?
Gefragte Skills mit Impact
Der Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft bietet langfristig also auch zahlreiche Chancen für Dich als IT-Talent neue Apps für eine möglichst große Zielgruppe zu entwickeln und Services vor dem Hintergrund der Zugänglichkeit ganz neu zu denken. Daraus ergeben sich auch für Dich spannende Job-Perspektiven: Expertise im Bereich Accessibility macht Dich zu einer gefragten IT-Fachkraft, die Türen öffnet, Brücken baut und womöglich auch mal den Finger in die Wunde legt, wenn historisch gewachsene Barrieren abgerissen werden müssen. In fast allen Bereichen von Wirtschaft und öffentlichem Dienst eröffnen sich für Dich Karrieremöglichkeiten, bei denen Du Dein Know-how nutzen und gleichzeitig einen positiven Einfluss auf unsere Gesellschaft haben kannst.
- Ab Mitte 2025 müssen Websites und Apps gesetzliche Barrierefreiheitsstandards erfüllen, sonst drohen Bußgelder oder Verbote gemäß dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG).
- Die European Accessibility Act (EAA) und WCAG setzen klare Richtlinien für Barrierefreiheit, vom Code bis zur Gestaltung von digitalen Angeboten.
- Für IT’ler bieten sich durch Expertise im Bereich Barrierefreiheit vielfältige Karrieremöglichkeiten mit positivem gesellschaftlichem Impact z. B. im Bereich Software Development oder UI-Design.